Darmflora: Individuell wie ein Fingerabdruck und unverzichtbar für unser Leben

– eine kleine Exkursion für die (Natur-)Wissenschaftler unter uns –

Mit unserer Geburt beginnt die mikrobielle Besiedelung unseres bis dato sterilen Darms durch BakterienÜbertragung von Mutter, Vater und aus der direkten Lebensumwelt. Durch die Ausprägung der familiären Darmflora, durch genetische Eigenschaften und durch regionale Besonderheiten entwickelt jeder Mensch seine individuelle autochthone Darmflora , so einzigartig wie ein Fingerabdruck. So ist es nicht verwunderlich, daß Bewohner eines Kulturkreises eine ähnliche (aber nie identische!) Darmbesiedlung aufweisen, während sie sich über große Distanzen deutlich unterscheiden kann – z. B. haben Kinder aus Bangladesh eine viel reichhaltigere Darmflora als weiße US-Mittelstandskinder.

Bei Erwachsenen leben allein im Verdauungstrakt etwa 100 Billionen unverzichtbare Bakterien von mindestens 1.000 verschiedenen Arten, die für uns u. a. Vitamine synthetisieren (z. B. Vitamin K, B-Vitamine), Nahrungsbestandteile (z. B. Glykane) aufspalten und die Peristaltik fördern 1). Warum diese Bakterien keine Abwehrreaktionen auslösen, liegt vor allem an unserem angeborenen Immunsystem. Es enthält sogenannte pattern recognition receptors (PRRs), Rezeptor-Strukturen, die ohne immunologischen Lernprozeß antigene Muster erkennen können. Bekannte Gruppen sind die intrazellulären NOD-like receptors (NLRs) oder die Oberflächen-PRRs der toll-like receptors (TLRs). TLRs erkennen sogenannte pathogen associated molecular patterns (PAMPs), Molekular-Strukturen die ausschließlich auf oder in Mikroben vorkommen, und steuern die Aktivierung immunologisch relevanter Gene. Unter anderem leiten sie die Aktivierung des antigen-spezifischen, erworbenen Immunsystems ein und modulieren seine Funktionen. Z. B. werden Antimikrobielle Peptide (AMPs) von den Zellen unseres Darms produziert und ausgeschüttet, um seine spezifischen Mikroben (v. a. Vetreter der Firmicutes und Bacteroidetes) zu kontrollieren und mit ihnen zu kommunizieren (dementsprechend ist das Attribut „antimikrobiell“ an dieser Stelle irreführend). AMPs besitzen eine artspezifische und sehr wahrscheinlich auch individuelle Struktur, was auf die epigenetische Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen hindeutet. Grundsätzlich sind die genannten Strukturen also dafür da, zwischen „selbst“ und „nicht selbst“ zu unterscheiden. Untersuchungen der letzten Jahre belegen nun, daß auch die Angehörigen der Darmflora, obwohl sie nicht körpereigen sind, von TLRs und NODs als „nichtfremd“ erkannt werden 2). Es besteht also eine physiologische Toleranz des mukosalen Immunsystems gegenüber der autochthonen Flora des Darmes. Werden diese angeborenen Erkennungsmechanismen geschädigt, so entgleitet das symbiotische Fließgleichgewicht zwischen Körper und Darmflora („Dysbiose“). Und das Risiko chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa 3) oder von Kolorektalkarzinomen steigt 4). Auch Autoimmunerkrankungen, Allergien, etc. werden mit nachhaltigen Schädigungen des Darm-Mikrobioms in Zusammenhang gebracht 5) 6). Neueste Studien zeigen zudem, daß eine Darm-Dysbiose wesentlich zu Übergewicht beiträgt 7). Auch scheint eine Vergiftung mit bakteriellen Endotoxinen bei Ungleichgewicht der Darmflora über inflammatorische Reaktionswege wesentlich für das Auftreten des metabolischen Syndroms, chronischer kardiovaskulärer Erkrankungen und des Erwachsenen-Diabetes zu sein

(„metabolische Endotoxinämie“) 8).