Ohne Skrupel

Wer heute nach Wahrheit sucht, wird an die Wissenschaft verwiesen. Dort, so wird uns weisgemacht, erwarten uns unabhängige, kritische Fachmänner und -frauen, die über jeden Zweifel erhaben sind. Spätestens, wenn im Lebenslauf Namen wie Harvard erscheinen, verbietet sich jede Kritik. Dann können sich Minister ständig selbst widersprechen und ein Gesamtbild abgeben, das in früheren Zeiten für einen sofortigen Rücktritt gereicht hätte. Heute, im Zeitalter der gepflegten Ignoranz und Niveaulosigkeit, heißt es: Augen zu und weiter so.

Wohin das führt, haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten mit brutaler Deutlichkeit erfahren. Flankiert von willfährigen Medien sonnen sich die „Experten“ im Glanz nie geahnter Popularität. Daß hinter der Fassade ein übler Geruch emporsteigt, fällt den wenigsten auf. Denn Geschäftssinn und das Hinterherhecheln nach dem Geld ist bei Doktoren und Professoren schon lange Usus. Wer hat schon Lust, seinen Alltag in Hörsälen zu verbringen, um für ein vergleichsweise bescheidenes Salär Dienst am akademischen Nachwuchs zu leisten? Da ist es doch wesentlich reizvoller, ein „Start up“ zu gründen, Fördergelder vom Staat zu kassieren, die preiswerte Arbeitskraft von Studenten abzusaugen und sich danach, bei Erfolg des Projekts, die Taschen vollzustopfen. Zusätzlich zum Professorengehalt, versteht sich.

Die Büchse der Pandora steht weit offen

Auch das beliebte Modell der Stiftungsprofessuren führt Wissenschaft und Lehre auf Abwege. Wenn milliardenschwere Gönner einen Lehrstuhl mitsamt Professorenstellen finanzieren, ist die vom Grundgesetz vorgesehene Freiheit von Forschung und Lehre nicht mehr als ein frommer Wunsch. Selbst wenn die Beteiligten den Eindruck erwecken, alles gehe mit rechten Dingen zu: Auf diese Form von Wissenschaft können wir getrost verzichten.

Denn wir brauchen keine Selbstdarsteller, die Auftragsforschung als seriöse Arbeit verkaufen und kritische Diskussionen darüber schon im Keim ersticken. Die Folgen eines fehlgeleiteten und instrumentalisierten Wissenschaftsbetriebs wiegen schwer, nicht erst seit der Entwicklung der Atombombe. Auch künstlichen Dünger, Formaldehyd, Asbest, Contergan oder Therapien mit mRNATechnologie hätte die Welt nicht gebraucht. Kern des Übels sind nicht nur käufliche und vor Eitelkeit strotzende Wissenschaftler, sondern auch ein eklatanter Mangel an Verantwortung. „Wir wußten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein“, soll J. Robert Oppenheimer, einer der Väter der Atombombe, Jahre nach seiner verhängnisvollen Erfindung gesagt haben. Daß er früher hätte Grenzen setzen müssen, ist ihm dem Vernehmen nach aber bis zuletzt nicht in den Sinn gekommen.

Wir entscheiden, wem wir vertrauen

Dabei gab und gibt es auch heute noch Wissenschaftler wie den Physiologen Carl Ludwig (1816 – 1898), der für seine Forschungsarbeit gelebt hat und an akademischen Ehren nicht interessiert war. Ludwig galt als menschlich integer; als Vaterfigur, der die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit meist unter dem Namen seiner Schüler veröffentlichen ließ. Gleichzeitig hatte er aber auch den Mut, gegen den Strom zu schwimmen und eine andere Position zu vertreten als die meisten seiner Kollegen. Der Preis, den Ludwig für seine fachlich und menschlich bewundernswerte Einstellung bezahlt hat: Er ist in Vergessenheit geraten.

Wissenschaftlern, die bereit sind, für ihre Karriere über Leichen zu gehen, dürfte er damit ein warnendes Beispiel sein. Wer sich jedoch auf Ludwigs Seite schlägt, gehört zu jenen, die ihrem Beruf alle Ehre machen.

Doch am Ende entscheiden wir, welcher Sorte von Wissenschaftlern wir unser Vertrauen und unsere Aufmerksamkeit schenken – den eitlen, von Politik und Wirtschaft korrumpierten Selbstdarstellern oder den anderen, die ihre Verantwortung ernst nehmen und versuchen, – gegen alle Widrigkeiten – ihre Arbeit zu machen. Wenn sich das Blatt zum Besseren wenden soll, dann ist die Antwort klar.

Ihr Dr. Georgios Pandalis