Nachtleben ist nicht urheimisch

Nachtleben wurde von vormodernen Gesellschaften nicht geduldet und oft durch behördliche Maßnahmen eingeschränkt. Beispielsweise durch Nachtruhe-Regelungen, die von Nachtwächtern kontrolliert wurden. In etlichen Teilen Deutschlands gibt es bis heute noch begrenzte Öffnungszeiten in der Gastronomie zur Sicherung der Nachtruhe (Sperrstunde) und zum Jugendschutz. Zu bestimmten Festen, z. B. den spätwinterlich-vorfrühlingsmäßigen Fruchtbarkeits- Riten der Fastnacht, wurden diese Regelungen unterlaufen oder zeitweise aufgehoben. Auch in mittelalterlichen Freudenhäusern oder öffentlichen Badestuben wurden allgemeingültige Regeln zur Nachtruhe ausgehebelt.

Mit dem Beginn der Moderne zeigte ein immer weiter ausschweifendes Nachtleben den Mentalitätswandel bzw. Veränderungen des öffentlichen Bewußtseins. Nach Entmachtung der geistlich-adeligen Elite gibt das Pariser Lichtturm-Konzept („phare de nations“) diesem nachtleben-bezogenen Einstellungswandel am sinnfälligsten Gestalt: Von Gustav Eiffels Turm („Tour soleil“, „Eiffelturm“) sollte ein riesiger elektrischer Leuchtkörper aus 360m Höhe im Umkreis von 5,5 Kilometern die Seine-Metropole überstrahlen und in ganz Paris die Nacht zum Tage machen. Das gigantische Projekt von 1889 scheiterte, wurde aber durch die Straßenbeleuchtung und Beleuchtung öffentlicher Räume bzw. Plätze bald eingeholt und durch Lichtreklame überboten: Das moderne Nachtleben entwickelt sich parallel zur (post) modernen Lichtverschmutzung der Nacht.

Prof. em. Dr. med. Dr. phil. Dr. h.c. Gundolf Keil, Würzburg (Medizinhistoriker,
Arzt, Philologe)