„Ich hab‘s an der Schilddrüse“

Mit dieser Aussage entschuldigen sich manche Übergewichtigen bei ihrer Umwelt, um nicht als verfressen zu gelten. Kein Wunder, schließlich wird in der Gesellschaft Übergewicht als selbstverschuldet angesehen. Da ist es gut, wenn man ein entlastendes Argument zur Hand hat.

Viel Aufmerksamkeit bringt unsere vom Lifestyle geprägte Gesellschaft der Rolle der Schilddrüse für unser Körpergewicht entgegen. Die Hormone der Schilddrüse beeinflussen den Energiestoffwechsel und damit – indirekt – unser Körpergewicht. Menschen mit Adipositas zeigen deshalb auch Veränderungen bei ihren Schilddrüsen-Hormonfunktionen. Doch Vorsicht! Was hier Ursache und Wirkung ist, ist noch nicht geklärt. 1) Beeinflussen die Fettzellen den Hormonspiegel oder die Hormone die Fettzellen?

Daß eine Überfunktion Gewichtsverluste nach sich zieht, brachte Geschäftemacher auf die profitable Idee, Schilddrüsenhormone direkt in dubiose Schlankheitspillen zu mischen. 2) Die Verwender geraten in eine Überversorgung, werden zappelig und nervös und verlieren Gewicht. Was nimmt man nicht alles auf sich, um dem heutigen Schönheitsideal näher zu kommen…

Aber auch Ärzte verschreiben legal L-Thyroxin bei Übergewicht. Bei 14 % der Verordnungen wurde diese Indikation gewählt 1), was erneut die Hilflosigkeit der Ärzte bei Adipositas belegt.

Alles auf Anfang

Die Schilddrüse ist ein sehr wichtiges Organ. Sie beeinflußt unseren ganzen Hormonhaushalt, den Blutdruck, Leber, Herz und Nieren. Die Unterfunktion geht einher mit Schwäche, Konzentrationsstörungen, Frieren, Antriebslosigkeit und kann zu depressiven Verstimmungen führen. Eine Überfunktion hingegen zeigt sich z. B. durch Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Nervosität und Zittern sowie Gewichtsabnahme trotz Heißhungers.

Erst Forschen, dann Handeln!

Fast 100.000 Schilddrüsenoperationen im Jahr in Deutschland. Diese Zahl bringt einen ins Grübeln. Wie viele unschuldige Schilddrüsen haben die Ärzte wohl schon auf dem Gewissen 6)?

Ob das, was man den Patienten nunmehr seit Jahrzehnten angedeihen läßt, auch wirklich Sinn macht, steht bestürzenderweise erst seit kurzem auf dem Prüfstand. Im Jahr 2012 startete ein Forschungsprogramm 2), in dem 18 deutsche Gruppen mit prominenter Beteiligung, wie z. B. der Berliner Charité oder des Leibniz Instituts für Pharmakologie, die die Schilddrüse neu entdecken wollen.

Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis der Schilddrüse und ihrer Funktionsweise zu erarbeiten – ein wahres Mammut- Programm. Und wenn die Leitfrage lautet: „Wodurch ist die gesunde und die gestörte Schilddrüsenfunktion definiert?“ 7), zeigt das auf entwaffnende Art, auf welchem wackeligen Fundament die derzeitige Diagnostik und vor allem Behandlung steht.

Immer neue Erkenntnisse erschüttern die Basis der bisherigen Vorgehensweise. Bisher unbeachtete Stoffe sind Teil des Schilddrüsenhormonsystems oder als Transporteure der Hormone ausgemacht worden, während immer mehr Umweltgifte wie polychlorierte Biphenyle (PCBs) und Medikamente (z. B. die „Pille“ oder Antidepressiva) in den Verdacht geraten, das komplexe System auf unterschiedliche Weise zu stören.

Während also in der Fachwelt die Einsicht reift, daß das Verständnis für die Funktionalität der Schilddrüse von Grund auf neu erarbeitet werden muß, steigen in den Arztpraxen die Verordnungen für Schilddrüsenmedikamente unbeirrt weiter an.

Eine britische Studie zeigte, daß fast ein stolzes Drittel der erfaßten Schilddrüsenpatienten das Hormon L-Thyroxin verordnet bekam, obwohl ihre Werte noch im grünen Bereich lagen 8). Auch in Deutschland gibt es die Tendenz, immer früher zum Rezeptblock zu greifen. Hinzu kommt die absurde Forderung, den Schwellenwert, ab dem therapiert werden sollte, weiter zu senken.

Cui bono? 9)

Von dieser Entwicklung profitiert mal wieder die Gesundheitsindustrie. Mehr Verordnungen, mehr Untersuchungen spülen Geld in die Kassen. Geld, das wir als Versicherte erst einmal aufbringen müssen. Genauso lief es schon bei der Absenkung der Grenzwerte für Blutdruck und Blutzucker. Millionenfach werden gesunde Menschen zu Patienten gemacht, die meist ihr restliches Leben lang Medikamente einnehmen. Davon abgesehen setzt man sie der Gefahr schwerer Nebenwirkungen aus. Hat sich eigentlich jemand darüber Gedanken gemacht, daß ein Organ, dem man die Arbeit abnimmt, seine Funktionsfähigkeit einbüßt? Für Sportler und ihre Muskulatur ist das eine Binse. Man bringt die Regulation der Schilddrüse womöglich völlig aus dem Gleichgewicht, so daß in der Folge tatsächlicher Behandlungsbedarf entsteht. 7) Im Drogenmilieu nennt man das Anfixen.

Man kann die Werte mit Medikamenten in den Normbereich bringen, jedoch ohne damit die Ursache der Erkrankung zu bekämpfen. So klagen viele Patienten auch weiterhin über verringerte körperliche, geistige oder seelische Leistungsfähigkeit und insgesamt über eine beeinträchtigte Lebensqualität.

Was also tun, wenn Schilddrüsenprobleme vermutet werden? Bevor wir nicht hieb- und stichfest sagen können, welche Störungen tatsächlich behandlungsbedürftig sind und wie man sie sinnvoll und sicher therapieren kann – Finger weg von Medikamenten! Auch der Einsatz von Arzneien für andere Beschwerden, die die Schilddrüsenfunktion stören können, muß dabei überdacht werden.

Aus den ganzen Turbulenzen in der Forschung ist noch keine Folgerung für die Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften an die Ärzte resultiert. Hier macht man weiter wie bisher. Da die Schilddrüse für eine gesunde Funktion zwingend natürliches Jod braucht – und wir betonen natürliches! – sollten wir hier ganz am Anfang ansetzen. Ärzte beachten diese Unterscheidung nicht. Sie empfehlen Lebensmittel mit Jodsalz-Zusatz oder verordnen Jodtabletten. Bei Hashimoto wird Jod sogar ganz verboten. Dabei sorgen nur natürliche Jodquellen für eine bedarfsgerechte Aufnahme des Stoffes. Jodiertes Speisesalz ist kein Ersatz (siehe UHN 1/02). Wer keinen Seefisch mag oder sich vegan ernährt, kann auf die Salzwiesenpflanze Queller (lat. Salicornia) ausweichen. Sie reichert Jod aus dem Meerwasser an und bindet es organisch. Und genau diese gebundene Form ist die urheimische Art der Nährstoffaufnahme für den Körper.

1.) Mikami E et al: Detection of thyroxine in dietary supplements using an enzyme-linked immunosorbent assay. Journal of Health Science 01/2003; 49:305-843. DOI:10.1248/jhs.49.547
2.) Throid Trans Act: http://www.thyroidtransact.de/
3.) Gerabek: Enzyklopädie Medizingeschichte 2005
4.) Reisert R: Der siebenkammerige Uterus. Studien zur mittelalterlichen Wirkungsgeschichte und Entfaltung eines embryonolog Gebärmuttermodels. Pattensen 1986 (= Würzburger Medizinhistorische Forschung 39) , S. 76
5.) Lerman NE, Oldenziel R, Mohun AP, eds. 2003. Gender and Technology: A Reader. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press S. 101
6.) Leitner P: Jodversorgung: Viel zu früh für endgültige Entwarnung. Ärzte-Zeitung 12. März 2014 Dossier Schilddrüse
7.) Führer D, Brix K, Biebermann H, 2014
8.) Taylor PN et al: Falling Threshold for Treatment of Borderline Elevated Thyrotropin Levels—Balancing Benefits and Risks. JAMA Intern Med. 2014;174(1):32-39. doi:10.1001/jamainternmed.2013.11312
9.) Cui bono? = lat. Wem nutzt es?