Das große Fressen und die wahren Genüsse

Wer den Film gesehen hat, dem ist der Appetit vergangen: Das große Fressen ist eine drastische Satire auf das egoistische Lust-Prinzip der modernen westlichen Gesellschaften. Dennoch: Viele wollten damals (1973, im Jahr nachdem der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ publiziert hatte) die Botschaft nicht verstehen, die da hieß: Wer nur seinen eigenen Lüsten lebt, verliert zuletzt die Lust aufs Leben – logisches Ende des Hedonismus. Im Film kommt es in großen Schritten. Doch ist hier nur gerafft, was in der Realität kontinuierlich passiert – das ist das eigentlich Erschreckende.

Anfang der 1970-er Jahre mußten noch Gelage der alten Römer als Film-Vorlagen herhalten. Heutige Vorbilder sind Polit- und andere Promis von Altmaier bis Wulff, die beim Oktoberfest in München oder einem seiner Ableger im Land werbewirksam Fleisch- und Bierkonsum öffentlich zelebrieren. Man eifert ihnen nach auf Bauchspeck-komm-raus. Maßhalten Fehlanzeige. Den Mundschenk aus dem Symposion im alten Griechenland, der darauf achtete, daß kein Gast zuviel trank, damit das Niveau der Gespräche nicht leide, gibt’s nicht mehr. Die private Einladung gerät zum Event nach dem Motto „Je kleiner der Meier, desto größer die Feier“. Etwas sympathischer ist mir Nachbars Oma, die widerwillig ihre Zeit opfert, damit selbstgebackener Kuchen und Kaffee in rauhen Mengen bereitsteht für jeden, der zum Gratulieren kommt. Frage: Warum kommen die wohl? Ich meine: da ist gesellschaftlicher Zwang dahinter durch soziale Kontrolle – man will sich ja nichts nachsagen lassen. Bisweilen auch lokalpolitisches Zweckdenken. Wer 500 Freunde in die subventionierte Scheune lädt, hofft bei der nächsten Wahl auf mehr Stimmen als der Konkurrent mit bescheidenen 80 im Wirtshaus.

Kennen wir aus der Geschichte: Bei der Landshuter Hochzeit anno 1475 wurden mehr als 300 Ochsen geschlachtet, 500 Kälber, 1.000 Schweine, und 40.000 Hühner. Der Herzog wollte was werden im Deutschen Reich und ließ sich das Fest (in heutigen Euro) 12 Millionen kosten. Es dauerte eine Woche. 2017 feierten die Landshuter wieder Fürstenhochzeit, vier Wochen lang mit über einer halben Million Gästen, für die viele Tausend Tiere ihr Leben gaben.

Dem Bayernherzog ist der demonstrative Fleischkonsum nicht bekommen, er starb 1503 mit 48 Jahren ohne im Reich etwas geworden zu sein und ohne männlichen Erben. Aus seinen letzten Jahren sind Badekuren gegen allerlei Beschwerden überliefert. Auf seinen Tod folgte der Landshuter Erbfolgekrieg, der in zwölf Monaten weite Teile Bayerns und der Pfalz verheerte.

Und heute? Wozu vertilgen 6,2 Millionen Oktoberfestbesucher 7,5 Millionen Liter Starkbier, fast 200 Rinder und über 500.000 Hähnchen? Aus eigensüchtiger Freude an Eß- und Trinklust, muß man sagen. Hedonismus nannte das der griechische Philosoph Epikur vor 2300 Jahren und fand deutliche Worte: „Hedonismus ist ein Zeichen von Dekadenz, die Nebenwirkung ist Traurigkeit; die Genüsse, die dem Menschen nachhaltig Freude bereiten, sind nicht die leiblichen, sondern die der Seele.“

Bald feiern wir Weihnachten. Ursprünglich nicht gedacht als Mega-Party mit Geschenkeschlacht, sondern als Gedenken an die Geburt einer Idee, konkret des Wortes (logos) vom Frieden für alle, die guten Willens sind. Von Grillfleisch war nicht die Rede. Von Nebenwirkungen wie Metabolischem Syndrom und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch nicht. Ich denke an einen Weihnachtsbrauch aus Altbayern, von dem ich kürzlich hörte: Die Familie ißt gemeinsam vor dem Kirchgang eine sehr einfache Suppe, verfeinert mit gerösteten Brotwürfeln und Kräutern. Besinnliche Weihnachten dieser Art wünscht

Ihr Dr. Georgios Pandalis

Dennis L. Meadows et al., Die Grenzen des Wachstums, 1972. Reinhard Stauber, Georg der Reiche, Landshut 2004. Die Bibel, Einheitsübers. d. Hl. Schrift, Stuttgart 2016.