Gülle statt Idylle

Wenn die Agroindustrie landwirtschaftliche Naturflächen mit Exkrementen der industriellen Massentierhaltung – trotz rechtlicher Beschränkungen – staatlich unkontrolliert zur Billigst-Entsorgung flutet, vergiftet dies unsere Umwelt und uns Menschen. Typische Probleme sind neben der Geruchsbelästigung vor allem die Abtötung von Bodenlebewesen, die Schwermetall-Anreicherung in den Böden, die Verseuchung von Meer-, Grund- und Trinkwasser (zum Beispiel durch Nitrate oder Pharma-Rückstände), die Luftverschmutzung durch Gülle-Ammoniak (saurer Regen) oder die Überdüngung von Gewässern (vor allem durch Phosphate). Und die gesundheitliche Zeitbombe, die hierdurch für uns alle tickt. Besonders schlimm ist dies in Regionen mit hohem Viehbesatz und/oder vielen flächenlosen Betrieben, wie zum Beispiel dem Münsterland, dem Emsland, Ostdeutschland oder im Gebiet um den Teutoburger Wald, auch bekannt als „Gülle-Belt“.

„Gülle aus industriell betriebenen Schweinemastanlagen und anderen Massentierhaltungen ist hochgradig mit Hormonen, Arzneimitteln und Desinfektionsmitteln verseucht und müsste eigentlich als Sondermüll entsorgt werden. Massentierhaltung ist Tierquälerei, und die Gülle aus Massentierhaltung ist entgegen vielfacher Behauptungen kein hochwertiger Wirtschaftsdünger! Im Gegenteil: Diese Gülle verseucht das Grundwasser, Bäche, Flüsse und Seen. Diese Gülle verseucht Ackerböden und Atemluft, vergiftet Mensch und Umwelt“ (zitiert nach „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND), Landesverband Sachsen).

Hinzu kommen hunderttausende Tonnen von Gülle aus dem Ausland (vor allem aus den Niederlanden), mit der deutsche Bauern für ein paar „Silberlinge“ ihre Felder überschwemmen („Gülle-Tourismus“). Abhilfe soll die ab 1. September 2010 gültige „Verbringensverordnung für Wirtschaftsdünger“ schaffen. Sie zwingt dazu, Handel und Inverkehrbringen von Gülle zu dokumentierten und zu melden. Doch, was in den Betrieben selbst passiert, wird davon nicht erfaßt. Auch die Möglichkeit, Exkremente der Tierhaltung in Biogas-Anlagen wenigstens in Energieträger zu verwandeln, greift in Folge besonders „intelligenter“ Förderregeln kaum: Es ist derzeit oft gewinnbringender, Gülle auf die Felder zu pumpen als zu Biogas zu verwandeln. Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, das am 1. Januar 2006 in Kraft getreten ist, sollte Bürgern ein allgemeines und umfangreiches Einsichtsrecht in Behördenunterlagen gewähren, zum Beispiel auch zur Gülleverwendung. Nach unserem bisherigen Wissensstand wurden hierzu noch keinerlei Auskünfte erteilt. Schließlich gilt es, Unternehmer-Interessen zu wahren! Kurzum: Recht und Gesetz helfen derzeit nur wenig gegen die Zerstörungen, die überall vor unseren Haustüren passieren. Die Idylle ländlicher Räume, täglich in endlosen TV-Serien über Landärzte, Bergdoktoren oder Tierärzte romantisch verklärt, existiert heute nur noch in Naturschutzgebieten. Davon kann sich jeder Städter bei einem kurzen Besuch auf dem Land überzeugen. Die stinkenden Gifte der Landwirtschaft verpesten uns alle. Die frühere klassische Empfehlung, aus gesundheitlichen Gründen von der Stadt aufs Land zu ziehen, klingt heute absurd. Die Nichtbauern verkaufen ihr Hab und Gut vielerorts wieder und ziehen zurück in die Stadt, vertrieben durch den Gestank der hochsubventionierten Gülle.

[Weiland HU, BUND, 2010; The New York Times, 15.2.2010]