„Burnout“ – oder die Stunde der Krankheitserfinder

Rund 30 Jahre ist es her, als in der Wissenschaft der Begriff „Burnout“ erstmals auftauchte. Durch die gemeinsamen Anstrengungen deutscher „Qualitätsmedien“ von Bild bis Spiegel während der letzten Monate ist nun auch allen Deutschen klar, was „Burnout“ (engl. für „Ausgebranntsein“) ist. Nämlich ein sich über Jahre aufbauender Zustand der totalen Erschöpfung mit Verlust aller Interessen. Zunächst wurde Burnout nur bei hoch engagierten Angehörigen helfender Berufe diagnostiziert, zum Beispiel Krankenschwestern. Heute können aber sogar Parkwächter oder Beamte im Innendienst darunter leiden, also eigentlich alle. Die Verdienstmöglichkeiten bei der „Volkskrankheit“ Burnout mit angeblich bis zu neun Millionen Betroffenen sind erheblich. Psychologen, Psychiater, alle Arten von Psycho- und Esoterik-Coaches, Alternativmediziner, Kliniken und Kureinrichtungen jeder Art und nicht zuletzt Hersteller von Arzneimitteln oder Magnetdecken sind an dem Milliardenmarkt beteiligt. Das fröhliche Geldverdienen wird auch dadurch nicht gestört, daß das „Ausgebranntsein“ in den anerkannten Krankheitslisten der Psychiatrie oder Medizin überhaupt nicht vorkommt. Oder wenn doch, dann nur als Rahmenbeschreibung anderer Krankheiten, nicht aber als eigenständige medizinische Diagnose, die zum Beispiel eine Einweisung in ein Krankenhaus rechtfertigen könnte. Auch die wissenschaftliche Literatur zeigt Merkwürdiges: Erst seit wenigen Jahrzehnten gibt es überhaupt Forschungsergebnisse zu Burnout, vorher war der Begriff in der Medizin völlig unbekannt. Dies weckt den Verdacht, daß Burnout eine von interessierten Kreisen erfundene Krankheit ist. Genauso wie zum Beispiel das Sissi-Syndrom, die soziale Phobie oder das Restless-Leg-Syndrom.

„Am Ende (droht) das Burn-out, die gesellschaftlich akzeptierte Edel-Variante der Depression und Verzweiflung, die auch im Moment des Scheiterns das Selbstbild unangetastet lässt … Nur Verlierer werden depressiv, Burn-out dagegen ist eine Diagnose für Gewinner, genauer: für ehemalige Gewinner.“
(Süddeutsche Zeitung, 15.3.2009)

Dies bedeutet übrigens nicht, daß Betroffene solcher Störungen eingebildete Kranke seien und keine „wirklichen“ Beschwerden hätten. Nein, sehr oft können sie sehr schwer krank sein! Nur die Burnout-Zuordnung und damit auch die Konsequenzen für Vorbeugung oder Therapie sind falsch.

Grund: Die meisten auf Freud aufbauenden Psycho-Schulen versuchen seelisch-geistige Gesundheit herbeizuführen, indem sie die Patienten an die bestehende Lebenssituation anpassen. Bei Dauerstreß wegen Existenzängsten werden zur Entspannung Yoga oder Urschreitherapie angeboten, bei Selbstmordgedanken infolge mobbender Kollegen eine Psychoanalyse zurück zu frühkindlichen Seelen-Schädigungen. Hinzu kommt ein merkwürdiges Maschinen-Menschenbild der Psycho-Szene, das schon zur Lebenszeit Freuds allgegenwärtig war. Bereits der Begriff „Burnout“ verrät vieles: Eine Dampfmaschine „brennt aus“, wenn sie zu heiß läuft. Zum Beispiel bei Patienten, die immer „hochtourig gelaufen sind“. Auch der Begriff des „Verheizens“ von Menschen, bei denen alleiniges „Auftanken“ nicht mehr hilft, bezieht sich auf eine technische Erfahrungswelt. Damit alles wieder wie „geschmiert“ läuft, der Kranke wieder in der „richtigen Spur läuft“, muß er vom Therapeuten wieder an den „Kraftstrom“ des Universums angeschlossen werden. Diese Form einer entmenschlichenden Sprache, die aus Menschen Maschinen macht, wurde von dem Sprachforscher Viktor Klemperer schon 1947 der dunkelsten Phase der deutschen Geschichte zugeordnet.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Schon die Schamanen unserer Vorfahren wußten, daß ein individueller Kranker nur die Symptome einer breiter angelegten Störung zeigt – innerhalb einer Familie, einer Sippe, im Verhältnis zu den religiösen Normen oder den Gegebenheiten der Lebensumwelt. Schamanistische Behandlungsrituale schlossen deshalb sehr häufig die Familienmitglieder, die Dorfbewohner, die Naturgeister oder die Ahnen mit ein. Auch in Europa gab es bis ins 19. Jahrhundert eine Medizin, die nicht nur das Individuum therapierte. Sondern, ganz wie die Schamanen, zum Beispiel die Familie mit einbezog. Nur eine solche ganzheitliche, „urheimische“ Behandlung versprach das Potential auf Heilung, anstatt einer nur kurzfristigen Beschwerdebesserung.

Auch die Urheimische Gesundheit beschreibt seit langem das Phänomen, wie Menschen durch ständige, belastende Wechselwirkungen mit ihrer Umwelt schließlich krank werden. An der wohl teuersten Einzelerkrankung überhaupt, der Erwachsenen-Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ II), wird dies besonders deutlich: Von Medien oder Politikern permanent geschürte, dauerhaft belastende Angst, wegen unsicheren Arbeitsverhältnissen zunehmende Existenzsorgen, trotz aller Anstrengungen entmutigende Hoffnungslosigkeit oder eine tiefe, lähmende Resignation bei gleichzeitiger maßloser Reizüberflutung läßt den Stoffwechsel des Menschen entgleisen. Dies führt zunächst zum Metabolischen Syndrom (Störung des Zuckerstoffwechsels, bauchbetontes Übergewicht, krankhaft erhöhte Blutfette, Bluthochdruck) und schließlich zum ausgeprägten Diabetes (siehe „Diabetesforschung aktuell“, in Urheimische Notizen Nr. 2/2011; 1/2011; 3/2010; 2/2009). Der Begriff „Zivilisationskrankheit“ beschreibt dabei, daß ein Individuum erst in der Auseinandersetzung mit pathogenen äußeren Einflüssen dieser Zivilisation krank wird. Die totale Erschöpfung durch andauernde Angriffe auf das Individuum, das Burnout, ist nur ein Aspekt hiervon. Neben der individuellen Behandlung, zum Beispiel mit Hilfe von Urheimischer Medizin und nachhaltigen Änderungen des persönlichen Lebensstiles gehören – so weiß die Sozial- und Arbeitsmedizin schon seit über 100 Jahren – auch gesellschaftliche Reformen zu einer ganzheitlichen Medizin.

(Herbert Freudenberger, Anchor Press, 1980; Miriam Meckel, Rowohlt, 2010; Sebastian Beck, Süddeutsche Zeitung, 2009)